Judas-Darstellungen

Der Hass auf den Verräter

Die Geschichte aus den Evangelien ist allgemein bekannt: Jesus  wird von seinem Jünger Judas an die Tempelpolizei ausgeliefert. Ein Kuss markiert seine Verhaftung. Bereits im Frühchristentum wurde diese Erzählung herangezogen, um judenfeindliche Stereotype zu illustrieren: Geldgier, Heimtücke, Gottesmord.

Bild 01: Giotto di Bondone: Der Judas-Kuss (Detail, 1304-1306), Cappella degli Scrovegni in Padua

Seit der Antike gilt Judas im Christentum als Verräter. Markiert als Widersacher Jesu, knüpfte sich daran eine antjüdische Auslegungstradition. Die mittelalterlichen Judas-Legenden beschrieben den Jünger als mit dem Teufel verbündeten Christusmörder. Offen erklärte man Judas zum Stellvertreter alles Jüdischen.

Als antijüdische Hassfigur spielt Judas auch in Martin Luthers judenfeindlichen Spätschriften eine Rolle. Auf üble Weise diffamierte der Reformator darin Jüdinnen und Juden.

Rote Haare, gelber Mantel, grimmige Gesichtszüge – der Wittenberger Reformationsaltar illustriert die antijüdischen Zuschreibungen der Judas-Erzählung. Der Geldbeutel als Verweis auf den “Judaslohn” ist auf dem Bild gut sichtbar.

Zu Gunsten der Dämonisierung traten theologische Unstimmigkeiten immer weiter in den Hintergrund.

Bild 02: Mitteltafel des Wittenberger Reformationsaltars in der Stadtkirche St. Marien (Cranach-Werkstatt, 1547/1548)

Der Rückgriff auf judenfeindliche Stereotype im Kontext christlicher Judas-Darstellungen ist bis heute aktuell. Die Kinderfenster im Kölner Dom entstanden 1965 – und damit 20 Jahre nach dem Holocaust. Auch hier steht das Motiv der angeblichen Geldgier im Vordergrund.

Im Nationalsozialismus war der Bezug auf Judas fester Bestandteil der antisemitischen Propagandasprache.

Bild 03: Judas-Darstellung im Kinderfenster des Kölner Doms (1965)

„Judas ist Tschernobyl für Antisemitismus“ 

Amoz Oz

Bild 04: Judasverbrennen im spanischen Trespaderne, 2023

Die Judas-Legenden des Mittelalters wirken bis heute nach. Bei sog. Judasfeuern wird an manchen Orten in Südamerika und Europa eine Strohfigur des Jüngers öffentlich verbrannt. Der Brauch inszeniert Judas als Symbol des aboluten Bösen. Oft geht er einher mit antisemitischen Darstellungsweisen und Erlösungsvorstellungen. Auch in Deutschland finden jährlich Feuer dieser Art statt.

Antisemitismus begegnen heißt auch, neue Erzählungen über das Verhältnis von Jesus und Judas zu finden – auch theologisch. In seinem Buch “Der Fall Judas” betonte Walter Jens 1975 etwa die herausgehobene Rolle des Jüngers für die christliche Heilsgeschichte. Denn: Ohne Judas keine Übereignung Jesu, ergo auch keine Erlösung. Und so stellt sich der vermeintliche Verräter am Ende als der treueste Jünger unter allen heraus.