Ecclesia und Synagoga

Die Vorstellung vom neuen und vom alten Bund

Das Christentum entwickelte sich aus dem Judentum heraus. Um eine eigenständige Identität zu schaffen, grenzten sich Christinnen und Christen früh vom Judentum ab. Bereits in der Antike erklärte man das Judentum zum alten, überwundenen Glauben und das Christentum zum einzigen Träger des neuen Bundes mit Gott.

Bild 01: Fresko von Benvenuto Tisi detto Garofalo (1528/31) in der Heremitage, St. Petersburg

Bild 02: Ecclesia und Synagoga im Diaspora Museum Tel Aviv, ursprünglich angebracht am Straßburger Münster

Diese sogenannte Substitutions- oder Enterbungstheologie war bis ins 20. Jahrhundert hinein die dominante Lehrmeinung der christlichen Kirchen.

Den vermeintlichen Sieg über das Judentum meißelte man seit dem Mittelalter in Stein: An zahlreichen Kirchen zeugen die Frauenfiguren Ecclesia und Synagoga deshalb zum Teil heute noch von der christlichen Feindschaft gegenüber dem Judentum.

Ecclesia stellte man stellvertretend für die Kirche als siegreich dar, symbolisiert durch eine Krone, einen Kelch und ein Kreuz.

Die Figur der Synagoga portraitierte man in Vertretung für das Judentum als Besiegte. Oft versah man sie mit einer abgebrochenen Lanze und einer Augenbinde. Jüdinnen und Juden, so die Aussage, seien blind für die Wahrheit Gottes, die sich in Jesu offenbart habe.

Bild 03: Die Figur der Synagoga mit Augenbinde am Bamberger Dom

Bezug genommen wurde dabei auch auf das Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen aus dem Matthäusevangelium. Zehn Brautjungfern warten in dieser Geschichte auf den verspäteten Bräutigam, der plötzlich und mitten in der Nacht erscheint. Doch die fünf törichten Jungfrauen haben kein Öl mehr für Ihre Lampen. Sie sind nicht bereit für das Fest, das Himmelreich bleibt ihnen folglich verschlossen. Die Figur der Ecclesia findet sich an vielen Kirchen den klugen, Synagoga hingegen den törichten Jungfrauen zugerechnet.

Bild 04: Synagoga (rechts) und die “törichten Jungfrauen” am Jungfrauenportal des Magdeburger Doms

Bild 05: Christus am Kreuz. Druck aus einer Historienbibel von 1422.

Auf der Grundlage der Enterbungstheologie bildeten sich viele judenfeindliche Mythen heraus, die zum Teil bis heute fortexistieren.

Mit den ersten Kreuzzügen schlug die Abgrenzung vom Judentum in offene Gewalt um. Für Jüdinnen und Juden gab es im mittelalterlichen Europa immer wieder Aufenthaltsverbote und Einschränkungen bei der Berufswahl. An manchen Orten kam es zu Morden, Pogromen oder gewaltsamen Vertreibungen.

Erst in den 1960er und 1970er Jahren vollzog sich in den christlichen Kirchen die offizielle Abkehr von der Enterbungstheologie.

Mit der theologischen Neuausrichtung ist seither auch die Suche nach anderen Darstellungsformen verbunden. 2015 präsentierte Joshua Koffmann seine Skulptur „Ecclesia und Synagoga in Our Time“ an der St. Joseph’s University in Philadelphia. Sie zeigt Judentum und Christentum als gleichberechtigte Geschwister. Ähnliche Gegenentwürfe finden sich heute in Bonn, Hannover oder Dachau.

Bild 06: Joshua Koffmanns „Eccesia and Synagoga in Our Time”, St. Joseph’s University, Philadelphia

Bildnachweise

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Bild 2: © Sodabottle, Ecclesia et Synagoga, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Bild 3: © Birgit Wiedl, St. Pölten/Wien
Bild 4: © Vincent Kleinbub
Bild 5: © gemeinfrei, via Wikimedia Commons
Bild 6: © Calimeronte, Synagoga and Ecclesia in Our Time, Schwarz-Weiß, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons