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Juden galten im Christentum lange als reumütige Zeugen der christlichen Wahrheit. Mit der Figur des „Ewigen Juden“ Ahasver erhielt diese antijüdische Erzählung im 17. und 18. Jahrhundert ein neues Gesicht.
Bild 01: Darstellung von Matthaeus Parisiensis, abgebildet in der Chronica Maiora II (ca. 1200-1299)
Bereits im Spätmittelalter kursierte eine Legende in Europa: Als Jesu auf seinem Leidensweg das Kreuz kurz habe absetzen wollen, sei er von einem Mann zum Weitergehen angetrieben und beschimpft worden. Dem Mann habe Jesu prophezeit, dass er keine Ruhe mehr finden werde. Seitdem wandere er umher, um Buße zu tun.
Bild 02: Titelblatt der Schrift „Kurtze Beschreibung und Erzehlung von einem Juden mit Namen Ahasverus“ (1602)
1602 markierte ein Volksbuch den Wanderer als jüdisch und gab ihm den Namen Ahasverus. Der Name entstammt dem Alten Testament bzw. dem jüdischen Tanach. Er taucht dort allerdings in gänzlich anderen Kontexten auf.
Durch mehrere Übersetzungen verbreitete sich die Legende in Europa. Immer wieder wurde sie um weitere Passagen ergänzt. Spätestens im 18. Jahrhundert begründete sie schließlich einen einflussreichen judenfeindlichen Mythos: Stellvertretend für die Juden sei Ahasver dazu verdammt, bis zum jüngsten Tag umherzuwandern. Aus dem unbekannten Wanderer wurde so der „Ewige Jude“.
Das Bild des wandernden „Ewigen Juden“ fand vielfach Eingang in Literatur und Kunst. Vor allem in der Romantik war Ahasver ein populäres Motiv.
Nicht jede Darstellung des Wanderers war judenfeindlich intendiert. Im 18. und 19. Jahrhundert verfestigte sich das Stereotyp des angeblich wurzel- und heimatlosen Juden jedoch und fand Eingang in den modernen Antisemitismus. Rast- und Ruhelosigkeit wurden dabei nicht mehr als Bestrafung Gottes, sondern als Eigentümlichkeit des jüdischen Volkes beschrieben.
Bild 03: Gustave Doré: Der wandernde Ewige Jude (Farbiger Holzschnitt von S. C. Dumont, 1852)
Bild 04: Die nationalsozialistische Ausstellung „Der ewige Jude“ im Bibliotheksgebäude des Deutschen Museums, 1937
Bild 05: Plakat „Der ewige Jude“, Ausstellung im Deutschen Museum, 1937
Im Nationalsozialismus nahm die Figur des „Ewigen Juden“ einen festen Platz in der Regimepropaganda ein.
1937 fand in München eine große Ausstellung zur NS-Rassenlehre statt, die ein Jahr später die Novemberpogrome legitimieren sollte. 1940 erschien mit „Der ewige Jude“ auch einer der explizitesten Propagandafilme der Nazizeit. Die darin gezeigte Analogie von Juden und Ungeziefer schien die massenhafte Vernichtung in Konzentrationslagern bereits anzukündigen.
Gegen die antisemitische Erzählung wendeten sich vielfach jüdische Künstlerinnen und Künstler. Sie eigneten sich die Figur des wandernden Juden an, um eine Kritik am Antisemitismus zu formulieren.
Ein frühes Beispiel dafür ist Samuel Hirszenbergs Gemälde, das 1900 erstmals in Paris ausgestellt wurde. Mit ihrer Arbeit „Der Wanderer“ reflektierte jüngst auch die israelische Künstlerin Michal Fuchs Geschichte und Gegenwart des Motivs.
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Bild 06: Samuel Hirszenberg: Der Wandernde Jude (1899)
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Bild 1: © The Parker Library, Corpus Christi College, Cambridge, CCCC MS 16ii, f. 74v, CC BY-NC 4.0
Bild 2: © Bayerische Staatsbibliothek, BSB-ID 825616, S.4, NoC-NC 1.0
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